Wann ist Urlaub abzugelten?
Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf mindestens 20 bei fünftägiger Arbeitswoche bzw. 24 Werktage bei sechstägiger Arbeitswoche Erholungsurlaub. Einzelvertraglich oder tarifvertraglich sind meist zusätzliche Urlaubstage vereinbart. Im Regelfall muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Wird das Arbeitsverhältnis gekündigt und kann der Urlaub nicht mehr gewährt werden, bestimmt § 7 Abs. IV Bundesurlaubsgesetz, dass der Urlaub in Geld abzugelten ist.
Expertentipp: Krankheit schiebt Urlaub auf
Der Arbeitnehmer verliert seinen Urlaubsanspruch nicht, wenn er diesen aus sachlich nachvollziehbaren Gründen nicht nehmen konnte. Ein derart sachlicher Grund kann beispielsweise
- in einer Erkrankung liegen,
- bei zwingender Notwendigkeit termingerechter Auftragserfüllung,
- personellen Engpässen in Saisonbetrieben,
- Jahresabschlussarbeiten,
- krankheitsbedingter Personalausfälle
- oder vorrangigen Urlaubsansprüchen anderer Mitarbeitender.
Der Urlaub ist dann in das Folgejahr zu übertragen und muss im Regelfall bis spätestens Ende März genommen werden (§ 7 Abs. III BurlG). Liegt kein Übertragungsgrund vor, verfällt der Erholungsurlaub des Arbeitnehmers zum 31. Dezember. Konnte der Urlaub also aus sachlichen Gründen ins Folgejahr übertragen werden, besteht der Urlaubsanspruch fort und begründet beim Tod des Arbeitnehmers einen Urlaubsabgeltungsanspruch, die Sie wiederum als Erbe einfordern können.
In welchem Monat muss die Urlaubsabgeltung gezahlt werden?
Hat der Arbeitnehmer Anspruch darauf, dass sein Urlaub abgegolten wird, entsteht der Anspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 7 Abs. IV BurlG). Endet das Arbeitsverhältnis beispielsweise zum 31. September, entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch gleichfalls zum 31. September.
Praxistipp: Ausschlussfristen beachten!
Tarifverträge oder Arbeitsverträge enthalten oft Ausschlussfristen. Danach müssen Ansprüche auf Urlaubsabgeltung zeitnah innerhalb kurzer Fristen, beispielsweise innerhalb von drei Monaten, geltend gemacht werden. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsverhältnis endet regelmäßig mit dem Tod des Arbeitnehmers. Nach Fristablauf verfällt der Anspruch. Diese Ausschlussfristen gelten auch für die Erben (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.9.2016, Az. 5 Sa 55/16). Möchten Sie als Erbe den Urlaubsabgeltungsanspruch einfordern, empfiehlt sich, den Anspruch gerichtlich geltend zu machen. Sobald der Anspruch bei Gericht anhängig ist, wird er vererblich (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. November 1996, Az. 9 AZR 77/95).
Wie lautete die frühere Rechtsprechung zum Urlaubsabgeltungsanspruch?
Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kam die Abgeltung des Erholungsurlaubs nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer verstorben war. Da es sich um Erholungsurlaub handele, könne der Arbeitnehmer den Urlaub nicht mehr nutzen. Der Erholungseffekt könne sich nicht mehr auswirken. Der Urlaubsanspruch entfalle mit dem Todesfall des Arbeitnehmers und lasse sich auch nicht in einen Abgeltungsanspruch in Geld umwandeln. Der nicht mehr erfüllbare Erholungszweck führe dazu, dass die Erben keinen Anspruch darauf hätten, dass der Urlaub in Geld abgegolten werde (so die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Urteil v. 12.3.2013, Az. 9 AZR 532/11). Das Bundesarbeitsgericht hat diese frühere Rechtsprechung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geändert.
Allenfalls dann, wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch zu Lebzeiten des Arbeitnehmers wegen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sei, sei er vererblich, falle somit in den Nachlass und könne auch von den Erben eingefordert werden (BAG Urteil v. 22.9.2015, Az. 9 AZR 170/14).
Haben Erben Anspruch auf Urlaubsabgeltung?
- Nach der neueren Rechtsprechung haben Erben Anspruch darauf, dass nach dem Tod des Arbeitnehmers der noch nicht beanspruchte Urlaubsanspruch abgegolten wird. Hintergrund ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH Urteil vom 12.6.2014, Az. C-118/13). Danach bestimme Art. 7 EU-Richtlinie 2003/88, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung auch dann fortbesteht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers beendet wird. Der nicht mehr realisierbare Urlaubsanspruch sei in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umzuwandeln.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und sich veranlasst gesehen, dass deutsche Urlaubsrecht unionsgerecht auszulegen. Die gebotene Auslegung des § 7 Abs. IV BurlG gebiete danach, dass der Resturlaub auch dann abzugelten sei, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet (BAG, Urteil vom 22.1.2019, Az. 9 AZR 45/16). Der Anspruch bestehe unabhängig davon, ob sich der Abgeltungsanspruch aus einem öffentlichen oder einem privaten Arbeitsverhältnis ergebe.
Interessant zu wissen: Kritisch ist jedoch anzumerken, dass der vom Europäischen Gerichtshof zitierte Art. 7 EU-Richtlinie 2003/88 angesichts seines Wortlauts keinerlei Ansatzpunkte für eine derartige Interpretation liefert. Woher die Richter des EuGH diese Interpretation herleiten, steht in den Sternen und erscheint willkürlich. Kritik ergibt sich auch daraus, dass sich die Erben unmittelbar auf dieses Unionsrecht sollen berufen können, obwohl es sich lediglich um eine Richtlinie handelt. EU-Richtlinien richten sich an die Staaten der Europäischen Union, begründen aber keinen unmittelbaren Rechtsanspruch des Bürgers. Soweit der Mitgliedstaat das nationale Recht nicht ändert, kann der EuGH normalerweise über eine bloße EU-Richtlinie keinen Rechtsanspruch des einzelnen Bürgers begründen. Art. 7 der Richtlinie gibt zudem keinen erkennbaren Anlass, dass deutsche Urlaubsrecht in diesem Sinne anzupassen.
Wie ist die Berechnung, wenn der Resturlaub ausgezahlt wird?
Der Resturlaub berechnet sich danach, wie viel Urlaubstage der verstorbene Arbeitnehmer noch hätte in Anspruch nehmen können. Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 19.5.2022, Az. 28 K 563/19) hat in diesem Sinne klargestellt, dass der Abgeltungsanspruch lediglich den Mindesturlaub von 20 Urlaubstagen bei der fünftägigen Arbeitswoche und 24 Urlaubstagen bei einer sechstägigen Arbeitswoche betreffe. Das Verwaltungsgericht bezieht sich hierauf auf Art. 7 EU-Richtlinie 2003/88, in dem lediglich ein Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen vorgesehen sei. Der darüber hinausgehende Abgeltungsanspruch, den die Erben geltend gemacht hatten, wurde abgewiesen.
Abgeltungsanspruch erfasst auch Sonder- und Mehrurlaube
Hatte der verstorbene Arbeitnehmer Anspruch auf Sonderurlaub, erfasst der Abgeltungsanspruch der Erben nicht nur den gesetzlichen Mindesturlaub. War der verstorbene Arbeitnehmer als Schwerbehinderter anerkannt und hatte insoweit Anspruch auf Zusatzurlaub sowie Mehrurlaub (hier nach § 26 TVöD), gehöre der Anspruch zum Urlaub, den sich die Erben auszahlen lassen können (BAG, Urteil vom 22.1.2019, Az. 9 AZR 45/16).
Alles in allem
Sind Sie Erbe, empfiehlt sich, die Unterlagen des Erblassers frühzeitig durchzusehen, zu ordnen und eventuell bestehende finanzielle Ansprüche geltend zu machen. Soweit damit rechtliche Fragen verbunden sind, sollten Sie sich anwaltlich beraten lassen. So stellen Sie sicher, dass Sie nicht wegen einer vielleicht unzureichenden Begründung des Anspruchs Zeit verlieren und Sie den Einspruch wegen eines Fristverlaufs nicht mehr realisieren können.