Was steht im Gesetz?
Gemäß § 2057a BGB können Kinder eines verstorbenen Elternteils verlangen, dass Pflegeleistungen, die sie über einen längeren Zeitraum hinweg im Haushalt des Elternteils erbracht haben, beim Erbfall im Rahmen der Nachlassteilung unter Miterben ausgeglichen werden. Diese an sich klare Regelung birgt im Erbfall ein erhebliches Konfliktpotenzial.
In der Praxis ist es naturgemäß schwierig, die erbrachten Pflegeleistungen zu bewerten. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, diese praktischen Probleme bei der Berechnung der Ausgleichung von Pflegeleistungen durch einen Verweis auf die Pflegesätze des § 36 Abs. III Sozialgesetzbuch zu regeln. Dies hindert aber nicht, die Bewertung von Pflegeleistungen trotzdem anhand der Pflegesätze vorzunehmen.
Eine Ausgleichspflicht besteht nur gegenüber Abkömmlingen, also Kindern des Erblassers. Der den Erblasser überlebende Ehepartner kann keinen Ausgleich beanspruchen, wenn er oder sie den Erblasser bis zu seinem Tode gepflegt hat. Diese Art der Pflege entspringt der ehelichen Solidarität und unterliegt gerade nicht der Ausgleichspflicht. Ausgleichspflichtig sind also nur die Abkömmlinge des Erblassers (also die Kinder und Enkelkinder), die gesetzliche Erben sind oder die der Erblasser testamentarisch als Erben eingesetzt hat.
Um welche Pflegeleistungen geht es?
Unter Pflegeleistungen sind solche Leistungen zu verstehen, die im Rahmen des Begriffs der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI bezeichnet sind. Dazu gehören Hilfen im Bereich der Körperpflege, Ernährung, Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Auch die bloße Anwesenheit des Abkömmlings kann als Teil der Pflegeleistungen zu verstehen sein, soweit er etwa für Gespräche oder für die Sicherheit des pflegebedürftigen Elternteils im Fall plötzlich notwendiger Hilfe zur Verfügung steht.
Sollten Sie in diesem Fall den Ausgleich Ihrer Pflegeleistungen beanspruchen, ist wichtig, dass Sie hinreichend substantiiert vortragen und möglichst auch nachweisen, welche Pflegeleistungen Sie in welchem Umfang und in welchem Zeitraum erbracht haben. Die Einstufung des Erblassers in eine amtliche Pflegestufe kann hierbei hilfreich sein. Im Fall des OLG Frankfurt erforderte die starke Demenzerkrankung der Erblasserin eine vollständige Betreuung und permanente Überwachung, so dass auch diese Tatsache den Anspruch unterstützte.
Wie entschied das OLG Frankfurt?
Das OLG Frankfurt hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Ausgleichssumme festzusetzen ist, die ein Kind aus dem Nachlass seiner demenzkranken Mutter erhalten soll, wenn es wie in diesem Fall die Mutter über Jahre hinweg gepflegt hatte. § 2057a Abs. II BGB bestimmt hierzu, dass der „Ausgleich so zu bemessen ist, wie es mit Rücksicht auf die Dauer und den Umfang der Leistungen und dem Wert des Nachlasses der Billigkeit entspricht.“
Das Gericht stellte fest, dass die Pflegeleistungen des Sohnes weit über das Maß hinausgegangen waren, das Kinder normalerweise für ihre Eltern investieren. Vor allem verzichteten die Richter darauf, die im einzelnen erbrachten Pflegeleistungen der Jahre vor dem Erbfall aufzuschlüsseln. Im Hinblick auf den Nachlass von insgesamt 166.000 € hielt es das OLG Frankfurt für angemessen, dem Sohn 40.000 € pauschal zuzusprechen.
In solchen Fällen bemisst sich die Höhe des Ausgleichsbetrages nicht nach einer minutiösen Einzelfeststellung, sondern nach der Dauer und Umfang der Leistungen. Auch die durch die Pflegeleistungen bewirkte Ersparnis einer professionellen Pflege oder der Unterbringung in einem Pflegeheim ist zu berücksichtigen. Dabei können Leistungen, die Pflegekassen in diesen Fällen erbringen, gleichfalls angemessen berücksichtigt werden.
Soweit das Kind durch die Pflege des Elternteils persönliche Nachteile in Kauf nimmt, beispielsweise seine berufliche Tätigkeit einschränkt und dadurch Einkommenseinbußen erleidet, sind auch diese Nachteile bei der Bewertung zu berücksichtigen. Ebenso zu berücksichtigen sind Vorteile, wenn das Kind bei dem Elternteil wohnt und dadurch den Kostenaufwand für eine eigene Wohnung erspart.
Insgesamt erfolgt der Ausgleich unter Berücksichtigung all dieser Faktoren so, dass sie im Ergebnis der „Billigkeit“ entspricht. Billigkeit bedeutet, dass ein Ausgleich der Pflegeleistungen fair und gerecht erscheint. Insoweit sind auch die Vermögensinteressen der übrigen Erben und der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls zu berücksichtigen. Dabei muss klar sein, dass das ausgleichsberechtigte Kind nicht den gesamten Nachlass erhalten kann, so dass die anderen Erben leer ausgingen.
Soweit der pflegende Abkömmling für seine Pflegeleistungen ein Entgelt erhalten hat, steht ihm keine Ausgleichspflicht mehr zu. Den Ausgleich kann er allerdings dann verlangen, wenn er zwar ein Entgelt erhalten hat, das aber im Hinblick auf den Umfang und die Intensität der Pflegeleistungen als unangemessen erscheint. Eine Ausgleichspflicht besteht auch nur insoweit, als der Abkömmling Pflegeleistungen erbracht hat, die erheblich waren und in jedem Fall über die bloße moralisch als selbstverständlich bestehende Unterhaltspflicht gegenüber dem Elternteil hinausgegangen sind.
Wie wird der Ausgleich berechnet?
Der Ausgleich für Pflegeleistungen wird rein rechnerisch ermittelt. Zuvor müssen die Erben aus dem Nachlass sämtliche Verbindlichkeiten begleichen. Sollte der Nachlass dann erschöpft sein, geht der Ausgleichsanspruch des pflegenden Abkömmlings ins Leere.
Beispiel
Ein Erblasser hinterlässt nach dem Ausgleich aller Verbindlichkeiten 54.000 €. Miterben sind seine Frau und die Kinder A, B und C. Die Frau erhält, da das Ehepaar im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebte, die Hälfte des Nachlasses. Da sie nicht der Ausgleichspflicht unterliegt, erhält sie ihren Erbteil in voller Höhe von 27.000 €. Die andere Hälfte von 27.000 € verteilt sich auf die Kinder A, B und C. Da Kind A den Erblasser lange Jahre gepflegt hatte, kann es eine Entschädigung von 6.000 € beanspruchen (beispielhafte Schätzung). Es verbleibt ein Nachlass von 21.000 €, der sodann unter den Kindern A, B und C aufzuteilen ist. A, B und C erhalten daraus also jeweils 7.000 €. Kind A erhält zusammen mit seinem Ausgleichsanspruch insgesamt 13.000 €.
Sind Sie pflegebedürftig, sollten Sie idealerweise bestimmen, dass Ihr pflegender Abkömmling für seine Pflegeleistungen aus dem Nachlass entschädigt werden soll. Es empfiehlt sich, genau festzulegen, dass die Entschädigung als Anerkennung für die langjährige, unentgeltliche Pflege zu verstehen ist, die Sie nach Dauer und Umfang möglichst umschreiben sollten. Dazu können Sie auch auf die von der Krankenkasse anerkannten Pflegestufen oder das von der Krankenkasse gezahlte Pflegegeld Bezug nehmen. So hat das Finanzamt Anhaltspunkte, die Pflegeleistungen einzuschätzen, damit der Erbe die Pflegeleistungen nicht versteuern muss und von seinem persönlichen Freibetrag profitiert.
Verfassen Sie ein Testament, in dem Sie von den gesetzlichen Erbquoten abweichen, besteht keine gesetzliche Ausgleichspflicht. Es empfiehlt sich, im Testament anzuordnen, dass der pflegende Angehörige ein Geldvermächtnis erhält, das Sie pauschal festsetzen oder vom Umfang der erbrachten Pflegeleistungen abhängig machen können. Durch ein derartiges Vermächtnis können vor allem Personen, die nicht zum Kreis Ihrer gesetzlichen Erben gehören (z.B. Schwiegerkinder, nichteheliche Lebensgefährten) für erbrachte Pflegeleistungen honoriert werden. Auch vermeiden Sie so, dass sich die Erben später weigern, die Pflegeleistungen anzuerkennen.
Pflegeleistungen mindern Ihre Einkommensteuerlast
Pflegen Sie Ihren Elternteil, sind Sie durch die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung zusätzlich sozial abgesichert. Dadurch steigt Ihre spätere Rente. Es können sogar Rentenansprüche erst durch die Pflegeleistungen begründet werden. Denn Pflegezeiten sind vollwertige Rentenzeiten.
Eine Einschränkung besteht insoweit, als Sie nur unter die Rentenregelung fallen, wenn Sie einen pflegebedürftigen Angehörigen nicht erwerbstätig und wenigstens 14 Stunden in der Woche pflegen. Neben der Pflege dürfen Sie keine andere Erwerbstätigkeit ausüben, die Sie mehr als 30 Stunden pro Woche in Anspruch nimmt. Die Pflegeversicherung zahlt dann nicht unerhebliche Beträge für Sie in die Rentenkasse ein (Details siehe § 166 Abs. II SGB VI).