Ich wurde enterbt. Bin ich trotzdem pflichtteilsberechtigt?

„Ich habe dich enterbt!“. So oder ähnlich hatte ein Erblasser sein Testament verfasst und darin seinen Sohn und seinen Enkel enterbt, indem er beiden auch noch den Pflichtteil verweigerte. Stattdessen setzte er seine Lebensgefährtin und seinen Bruder jeweils zur Hälfte seines millionenschweren Vermögens ein. Als der Enkel volljährig wurde, forderte er den Pflichtteil. Das Oberlandesgericht Hamm gab ihm in einer aktuellen Entscheidung Recht (Urteil vom 26.10.2017, Az. 10 U 31/17). Das Urteil gibt wichtige Hinweise, wenn Sie ähnlich denken und Ihr Erbe so verteilen wollen, dass es wirklich in die richtigen Hände kommt.

Das Wichtigste für Sie:

  • Das Pflichtteilsrecht gewährleistet die Teilhabe der nächsten Angehörigen am Nachlass, auch wenn Sie einen solchen testamentarisch enterbt haben.
  • Sie können Ihre Abkömmlinge oder Ehegatten nur enterben, wenn sie sich als erbunwürdig erwiesen haben. Die dafür in Betracht kommenden Gründe sind in § 2333 BGB beschrieben.
  • Haben Sie Ihrem Kind den Pflichtteil entzogen, bleibt Ihr Enkelkind dennoch erbberechtigt.
  • Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
  • Der Pflichtteil berechnet sich nach dem Zeitpunkt des Verkehrswertes im Erbfall oder nach dem Verkaufserlös eines Vermögenswertes.
  • Der Pflichtteil ist ein reiner Geldanspruch.
  • Alternativ zur Enterbung sollten Sie den Erbverzicht, gegebenenfalls gegen Abfindung, in Betracht ziehen.

Worum geht es beim Pflichtteilsrecht?

Als Erblasser gewährt Ihnen die Testierfreiheit des Erbrechts das Recht, zu Ihren Lebzeiten über Ihr Vermögen beliebig zu verfügen und diejenige Person als Ihren Erben einzusetzen, die Sie sich wünschen. Das Pflichtteilsrecht hat das Ziel, auch diejenigen Verwandten an Ihrem Nachlass teilhaben zu lassen, die Sie trotz Ihres persönlichen Verhältnisses vom Nachlass ausgeschlossen haben. Ihre nächsten Verwandten, insbesondere Ihre Kinder und Enkelkinder, können Sie nur unter gewissen Voraussetzungen tatsächlich vollständig enterben.

Wer kann wann enterbt werden?

Der Wunsch, einen potentiellen Erben zu enterben, ist meist sehr emotional begründet. § 2333 BGB setzt dafür aber enge Grenzen. Als Erblasser können Sie einem Abkömmling (Abkömmlinge sind Ihre Kinder und Kindeskinder) oder einem Elternteil oder Ihrem Ehegatten den Pflichtteil nur entziehen, wenn:

  • jene Person Ihnen selbst oder Ihrem Ehegatten oder einem anderen Abkömmling oder einer Ihnen ähnlich nahestehenden Person nach dem Leben trachtete,
  • sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der zuvor bezeichneten Personen schuldig gemacht hat oder
  • die Ihnen gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt hat oder
  • wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wurde und seine Teilhabe am Nachlass sich deshalb für Sie unzumutbar darstellt.

Im Fall des OLG Hamm waren die Söhne des Erblassers rauschgiftabhängig und lebten teilweise als Obdachlose auf der Straße. Der ältere Sohn verstarb früh, der jüngere Sohn lag mit dem Vater ständig in Streit und wurde wegen einer gefährlichen Körperverletzung des eigenen Vaters zu zwei Monaten Haft verurteilt. Damit bestanden hinreichende Gründe im Sinne des § 2333 BGB, beide Söhne nicht nur vom Erbe auszuschließen, sondern ihnen auch den Pflichtteil zu entziehen.

Wie ist es mit dem Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge, deren Eltern der Pflichtteil entzogen wurde?

Im Fall des OLG waren die Söhne des Erblassers enterbt. Sie hatten aufgrund der Verhältnisse und des darauf gründenden Testaments keinen Anspruch auf den Pflichtteil. Der Enkel des enterbten jüngeren Sohnes verklagte die testamentarisch bedachten Erben auf Zahlung seines Pflichtteils. Er verlangte immerhin 920.000 € als Pflichtteilsanspruch und 10.000 € als Pflichtteilsergänzungsanspruch. Seiner Klage wurde stattgegeben. Das OLG Hamm stellte dazu fest, dass die Tatsache, dass der Vater den Sohn des Klägers (Enkelkind) enterbt habe, sich nicht auf den Enkel auswirke. Dabei blieb auch unerheblich, dass das Enkelkind, als der Erblasser sein Testament errichtete, noch nicht geboren war und der Vater aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der biologische Vater war, allerdings die Vaterschaft rechtlich anerkannt hatte. Allein die rechtliche Abstammung der Vaterschaftserkennung genüge als Erbnachweis.

Wie berechnet sich der Pflichtteil?

Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Insoweit müssen Sie immer vorab feststellen, wie hoch Ihr gesetzlicher Erbteil gewesen hätte, wenn Sie bzw. Ihr Vorgänger in der Erbfolge nicht enterbt worden wären. Steht der Erbteil fest, beträgt Ihr Pflichtteil die Hälfte davon.

Welcher Zeitpunkt ist für die Berechnung des Nachlasswertes maßgeblich?

Maßgeblich für die Berechnung des Nachlasswertes ist der Verkehrswert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls. Werden Vermögenswerte veräußert, kommt es zwar primär auf den Zeitpunkt des Erbfalls an. Wurde ein Vermögenswert, beispielsweise das Familienwohnhaus des Erblassers, danach veräußert, ist der Verkaufserlös maßgebend. Würde man auf den Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls abstellen, wäre der spätere eigentliche Erbe benachteiligt, wenn er den Pflichtteilsberechtigten entschädigen müsste, ohne dass er den im Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblichen Verkehrswert erzielt hatte (BGH IV ZR 124/09).

Welche Rechte begründet der Pflichtteil?

Der Pflichtteil ist auf die Auszahlung in Bargeld gerichtet. Im gegenseitigen Einvernehmen des Erben und Pflichtteilsberechtigten können auch Vermögenswerte übertragen werden. Auf keinen Fall begründet der Pflichtteil ein Recht des Pflichtteilsberechtigten daran, über Nachlassgegenstände zu verfügen oder sonst wie am Erbe teilzuhaben. Allein der testamentarisch bestimmte Erbe bleibt über den Nachlass verfügungsberechtigt. Der Pflichtteilsanspruch ist ausschließlich auf Auszahlung in Bargeld gerichtet.

Erbverzicht als Alternative zur Enterbung

Um die Risiken der Voraussetzungen einer rechtswirksamen „Enterbung“ und auch die Risiken der Entziehung des Pflichtteils zu vermeiden, könnten Sie mit Ihrem Verwandten auch vereinbaren, dass er auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet (§ 2346 BGB). Im Fall des Erbverzichts erstreckt sich die Wirkung des Verzichts auch auf die Abkömmlinge. Der Erbverzicht muss notariell beurkundet werden. Als Gegenleistung für den Verzicht könnten Sie den potentiellen Erben abfinden. Wurde der Erbverzicht rechtswirksam vereinbart, erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Testament wirksam ist und nicht durch irgendwen nach Ihrem Ableben angefochten werden kann.

Fazit

Wenn Sie also Ihren gesetzlichen Erben wirklich enterben wollen, müssen Sie trotzdem dessen Abkömmlinge im Blick behalten. Ein erbunwürdiges Verhalten Ihres Erben hat keine Auswirkungen auf dessen Abkömmlinge. Im Fall des OLG Hamm hätte man dem Enkelkind des erbunwürdigen Sohnes des Erblassers durchaus wünschen können, dass er über die Ungnade seiner Geburt hinaus wenigstens insoweit Glück hätte haben können, als ihn sein Großvater wenigstens am Erbe beteiligt und im Testament bedacht hätte. Vielleicht hätte der Großvater damit seine Startchancen im Leben verbessert.

Autor:  Henrick Kurt Wertheim

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