Pflichtteil – Erbe trotz Enterbung

Nicht nur in Fernsehfilmen hören Sie die Ansage: „Du bist enterbt!!! Ich habe mein Testament gemacht. Dein Bruder erbt alles.“ Auch im wirklichen Leben ist die Vorstellung, dass der nach dem Gesetz berufene Erbe mit der Bestimmung eines anderen Erben in einem Testament von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sei, häufig anzutreffen. Tatsächlich ist es so, dass das Gesetz mit dem Pflichtteil-Erbe dem gesetzlichen Erben eine Mindestbeteiligung am Nachlass garantiert. Der Erblasser glaubt, er habe den Erben „enterbt“. Der Erbberechtigte glaubt, sein Anteil berechtige ihn, am Nachlass teilzuhaben und mit zu bestimmen. Beide sind im Irrtum. Dieser Irrtum führt in der Praxis oft zu Fehlentscheidungen des Erblassers und zu an sich unnötigen Auseinandersetzungen unter den Erben. Das Pflichtteilsrecht ist sehr konfliktträchtig.

Das Wichtigste zum Thema „Pflichtteil – Erbe trotz Enterbung“ für Sie:

  • Der Anspruch auf ein Pflichtteil-Erbe im Erbrecht entsteht, wenn die Person, die den Anspruch geltend macht, durch Testament oder Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist.
  • Der gesetzliche Erbberechtigte kann seinen Erbteil aber auch ausschlagen. Auch dann verbleibt ihm das gesetzliche Pflichtteil-Erbe.
  • Der Pflichterbteil garantiert eine Mindestbeteiligung am Nachlass.
  • Einen Anspruch auf einen solchen Anteil haben nur die Abkömmlinge des Erblassers, seine Elternteile und sein Ehe- oder eingetragener Lebenspartner.
  • Der Anteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
  • Der Anspruch auf ein Pflichtteil-Erbe kann dem Pflichtteilsberechtigten nur in Ausnahmefällen entzogen werden, wenn er sich schwerwiegender Verfehlungen gegen den Erblasser oder einen nahen Verwandten schuldig gemacht hat.
  • Ehepartner können zwischen dem großen und dem kleinen Pflichtteil-Erbe wählen.

Nur mit einer letztwilligen Verfügung ändert sich die gesetzliche Erbfolge

Niemand ist verpflichtet, ein Testament zu errichten oder einen Erbvertrag abzuschließen. Verzichten Sie darauf, Ihren Nachlass durch „letztwillige Verfügung von Todes wegen“ zu regeln, bestimmt das Gesetz, wer Sie beerbt und Ihr Rechtsnachfolger wird. Das Gesetz geht natürlicherweise davon aus, dass Sie als potentieller Erblasser nach Ihrem Ableben Ihr Vermögen an die Personen, die Ihnen menschlich und verwandtschaftlich am nächsten stehen, weitergeben möchten.

Also bestimmt das Gesetz, dass an erster Stelle Ihre Kinder (Erben 1. Ordnung) oder falls Sie keine Kinder haben, Ihre Eltern und Ihre Geschwister Ihren Nachlass übernehmen (Erben 2. Ordnung). Daneben hat Ihr Ehepartner oder Ihr eingetragener Lebenspartner neben Ihren Kindern oder Eltern und Geschwistern ein gesetzliches Erbrecht.

Soweit die gesetzliche Erbfolge Ihren Vorstellungen entspricht, brauchen Sie kein Testament zu errichten. Sie können alles so belassen, wie es ist und das Gesetz es vorsieht. Sie brauchen sich keine Gedanken um eventuelle Pflichtteile zu machen.

Haben Sie hingegen andere Vorstellungen und entspricht die gesetzliche Erbfolge nicht Ihren Vorstellungen, müssen Sie ein Testament errichten oder beim Notar einen Erbvertrag beurkunden. Nur wenn Sie eine letztwillige Verfügung von Todes wegen verfassen, können Sie die gesetzliche Erbfolge verändern und Ihre Vermögenswerte so übertragen, wie Sie es sich vorstellen. Nur in diesem Fall sollten Sie als Erblasser berücksichtigen, dass das Gesetz einen Pflichtanteil vorsieht.

Was bedeutet Pflichtteil?

Erbrecht: Pflichtteil durch „Enterbung“

Verfassen Sie eine „letztwillige Verfügung von Todes wegen“ (Testament, Erbvertrag), verändern Sie gleichzeitig die gesetzliche Erbfolge. Dann erbt nicht mehr diejenige, der nach dem Gesetz als gesetzlicher Rechtsnachfolger berufen wäre, sondern derjenige Person, die Sie in Ihrem Testament oder in Ihrem Erbvertrag als Ihren Wunscherben bestimmen. Wen Sie auserwählen, ist allein Ihre Entscheidung. Sie können jede x-beliebige Person oder Institution als Ihren Erbberechtigen einsetzen. Da Sie damit aber die gesetzlichen Bestimmungen zum Erbrecht verändern, benachteiligen Sie die gesetzlichen Erben. Um die kraft Gesetzes bestimmten Nachfolger dennoch zu schützen und nicht völlig leer ausgehen zu lassen, bestimmt das Gesetz, dass den gesetzlichen Erbbrechtigten ein Pflichtteilsanpruch verbleibt. Der Anteil ist eine Mindestbeteiligung an den Vermögenswerten, die Sie in Ihrem Nachlass hinterlassen.

Praxisbeispiel:

Sie sind verheiratet und haben Kinder. Für den Fall Ihres Ablebens möchten Sie verhindern, dass Ihr Vermögen unter Ihrem Ehepartner und Ihren Kindern aufgeteilt werden muss. Im ungünstigsten Fall müsste Ihr Ehepartner vielleicht das Familienwohnhaus verkaufen, nur um den Kindern ihren Erbteil auszahlen zu können. Um diese Situation zu vermeiden, können Sie in einem Testament Ihren Ehepartner als Alleinerben einsetzen. Da Ihre Kinder gesetzliche Erben sind, werden sie durch das Testament von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Um sie nicht völlig vor den Kopf zu stoßen, bestimmt das Gesetz, dass Ihre Kinder Anspruch auf ein Pflichtteil-Erbe haben.

Erbrecht: Pflichtteil durch Ausschlagung

Ein Pflichtteilsanspruch kann auch dadurch entstehen, dass ein gesetzlicher Erbe auf seinen Erbteil verzichtet. Dann verbleibt ihm trotzdem noch der Mindestanteil, es sei denn, dass er auch auf diesen verzichtet.

Wer hat Anspruch auf ein Pflichtteil-Erbe?

Nur Ihre nächsten Verwandten haben Anspruch auf ein Pflichterbteil. Dazu zählt das Gesetz Ihre Abkömmlinge, also Ihre Kinder, Enkel und Urenkel. Pflichtteilsberechtigt sind auch Ihre beiden Elternteile sowie Ihr überlebender Ehegatte oder Ihr eingetragener Lebenspartner. Auch Ihre nichtehelichen und adoptierten Kinder sind pflichtteilsberechtigt, nicht aber Ihre Stiefkinder und Pflegekinder.

Kein Anrecht auf einen Pflichtteil haben Ihre entfernteren Verwandten. Auch wenn ein solcher Verwandter den gesetzlichen Erbteil ausschlägt, verbleibt ihm kein Erbe.

Praxisbeispiel:

Sie sind alleinstehend und haben keine Kinder. Ihre beiden Elternteile sind verstorben. Sie haben einen Bruder. Nach § 1925 BGB erbt Ihr Bruder aufgrund der gesetzlichen Erbfolge Ihr gesamtes Vermögen. Setzen Sie nun Ihren Nachbarn als Alleinerben ein, geht Ihr Bruder leer aus. Er hat keinen Pflichtteilsanspruch.

Wie berechnet sich der Pflichtteil?

Möchten Sie den Pflichtteil eines Erbberechtigten kraft Gesetzes bestimmen, müssen Sie vorab wissen, wer gesetzlicher Erbe des Erblassers ist und wie hoch nach dem Gesetz sein gesetzlicher Erbteil wäre. Der gesetzlich vorgesehene Erbteil ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 1924 BGB.

Praxisbeispiel:

Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder. Dann erben Ihr Ehepartner und Ihre beiden Kind von Gesetzes wegen jeweils die Hälfte des Nachlasses. Die Kinder teilen sich ihre Hälfte. Setzen Sie in einem Testament hingegen Ihren Ehepartner zum Alleinerben ein, verändern Sie die gesetzliche Erbfolge. Sie schließen mit dem Testament nämlich Ihre beiden Kinder von der gesetzlichen Erbfolge aus. Dann haben Ihre beiden Kinder Anspruch auf das anteilige Erbe.

Der Pflichtteil beträgt stets die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Da der gesetzliche Erbteil Ihrer Kinder jeweils ein Viertel betragen würde, hätten sie Anspruch auf jeweils ein Achtel (1/8 als die Hälfte von 1/4).

Was ist die Strafklausel?

Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner setzen sich gerne in einem gemeinsamen Testament (Berliner Testament) zum gegenseitigen Alleinerben ihres Vermögens ein. Sind Kinder vorhanden, haben diese mit dem Ableben eines Ehepartners (Elternteil) Anspruch auf ein anteiliges Erbe. Muss nun der Ehe- oder Lebenspartner den Anteil auszahlen, muss der Nachlass oft aufgeteilt werden. Im ungünstigen Falle muss Ihr Ehepartner Vermögenswerte veräußern, um das Pflichtteil-Erbe an die Kinder auszahlen zu können. Um diesen oft unwirtschaftlichen Weg zu vermeiden, findet sich in einem gemeinsamen Testament oft eine Strafklausel.

Die Strafklausel besagt, dass ein Kind auch im Fall des Ablebens des überlebenden Ehepartners nur ein anteiliges Erbe erhält, falls es beim Ableben des erstversterbenden Elternteils bereits sein Pflichtanteil-Erbe einfordern sollte. Es wird insoweit bestraft, als es nach dem Ableben des überlebenden Ehepartners nicht mehr den vollen gesetzlichen Erbteil erhält, sondern auch in diesem Fall auf das Pflichtteil-Erbe verwiesen wird. Verzichtet das Kind also beim Ableben des erstversterbenden Ehepartners darauf, sein anteiliges Erbe einzufordern, wird es insoweit belohnt, als es beim Ableben des zuletzt verstorbenen Elternteils den vollen Erbteil erhält. In diesem Fall besteht das Risiko natürlich darin, dass der überlebende Ehepartner den Nachlass verbraucht und nach seinem Ableben faktisch nichts mehr übrig ist. Auch für diese Situation hält das Erbrecht Lösungen bereit (z.B. Anordnung der Vor- und Nacherbschaft).

Kein Pflichtteil-Erbe, solange Sie leben

Solange Sie leben, kann kein Pflichtteilsberechtigter Anspruch auf seinen Anteil erheben. Der Anspruch auf den Pflichtteil entsteht immer erst, wenn der Erblasser verstirbt. Vor allem Kinder haben kein Recht, bereits zu Lebzeiten eines Elternteils ihren Anteil zu verlangen. Ungeachtet dessen können Sie freiwillig Zahlungen leisten und diese Zahlungen auf den eigentlichen Erbteil anrechnen. Im Übrigen bleibt es allein Ihnen überlassen, wie Sie mit Ihrem Vermögen verfahren. Sie können Ihr Vermögen zweckmäßig anlegen, sinnlos verjubeln oder verschenken.

Was bedeutet Pflichtteil und Ergänzungsanspruch?

Allerdings gibt es eine Einschränkung zu beachten. Sofern Sie Pflichtteilsansprüche dadurch beeinträchtigen, dass Sie bis 10 Jahre vor Ihrem Ableben Ihr Vermögen durch Schenkungen an Dritte vermindern, kann der Pflichtteilsberechtigte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen. Der Pflichtteilsberechtigte kann also von dem Beschenkten Ersatz dafür verlangen, dass durch die Schenkung sein Pflichtteil-Erbe geschmälert wurde. Dabei nimmt der Wert der Schenkung jedes Jahr um 10 Prozent ab und sinkt nach 10 Jahren auf Null. Danach spielen Schenkungen keine Rolle mehr.

Was ist der Zusatzpflichtteil?

Stellt sich heraus, dass das Pflichtteil-Erbe geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, kann der Pflichtteilsberechtigte von den Erben verlangen, dass sein Anteil auf die Höhe seines gesetzlichen Erbteils aufgestockt wird.

Was ist ein großer und ein kleiner Pflichtteil?

Wird der Ehepartner „auf den Pflichtteil“ gesetzt, hängt sein gesetzliches Erbrecht vom Güterstand ab. Das anteilige Erbe richtet sich wiederum nach dem gesetzlichen Erbteil. Bei der Zugewinngemeinschaft erhöht sich der gesetzliche Erbteil des Ehegatten durch den pauschalierten erbrechtlichen Zugewinnausgleich um ein Viertel. Lebten die Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, kann der überlebende Ehegatte wählen, ob er den großen und den kleinen Anteil bevorzugt.

  • Das große Pflichtteil-Erbe berechnet sich unter Einbeziehung des zusätzlichen Viertels aus dem Zugewinnausgleich. Neben einem oder mehreren Kindern erbt der überlebende Ehegatte die Hälfte des Nachlasses.
  • Das kleine Pflichtteil-Erbe beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils des Ehegatten ohne dieses zusätzliche Viertel.

Ob es für einen Ehegatten zweckmäßiger ist, den großen oder den kleinen Pflichterbteil zu fordern, hängt davon ab, wie hoch der Zugewinn in der Ehe im konkreten Fall war. Besteht der gesamte Nachlass des verstorbenen Ehegatten aus Zugewinn, weil zu Beginn der Ehe kein Vermögen vorhanden war, kann der pauschalierte Erbausgleich durch das zusätzliche erbrechtliche Viertel für den überlebenden Ehegatten ungünstiger sein als der konkret errechnete Zugewinn plus kleinem anteiligem Erbe.

Praxisbeispiel:

Frau Mueller hinterlässt ihrem Ehemann und ihren Kindern 100.000 EUR. Der Erbteil des Ehegatten beträgt ein Viertel als gesetzlicher Erbteil und ein weiteres Viertel als pauschalierter Zugewinnausgleich, somit die Hälfte des Nachlasses. Der Ehemann selbst hat keinen Zugewinn. Für ihn ist die erbrechtliche Lösung (großer Pflichtanteil) ungünstig. Er erhielte 50.000 EUR. Aber: Sein Zugewinn beträgt ohnehin die Hälfte des Nachlasses (also 50.000 EUR). Dazu kann er ein weiteres Achtel vom restlichen Erbteil verlangen (kleiner Pflichtanteil) und erhält weitere 6.250 EUR. Für ihn wäre also die Lösung über die kleine Variante die bessere Variante.

Vollständige Enterbung

Vollständig enterben können Sie einen gesetzlichen Erben nur in Ausnahmefällen. Dann erhält der Erbberechtigte tatsächlich keinen Cent. § 2333 BGB gestattet ausnahmsweise auch die Entziehung des anteiligen Erbes, wenn der gesetzliche Nachfolger Ihnen oder einem nahen Verwandten nach dem Leben trachtete oder wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde und Ihnen seine Teilhabe am Nachlass unzumutbar ist.

Pflichtteil - Erbe ist reiner Geldanspruch

Das Pflichtteil-Erbe ist ein reiner Geldanspruch. Es begründet keinen Anspruch, am Nachlass teilzuhaben oder über einzelne Nachlassgegenstände zu verfügen. Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Erben nur den Geldbetrag verlangen, der rechnerisch seinem Anteil entspricht. Er hat aber kein Recht zu bestimmen, wie der Erbe mit den Nachlasswerten verfährt.

Erbrecht: Pflichtteil verjährt in drei Jahren

Will ein von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossener Nachfolger sein Pflichtteil-Erbe fordern, hat er drei Jahre Zeit. Die Frist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Erbfall eingetreten ist und der Pflichtteilsberechtigte erfährt, dass er durch letztwillige Verfügung enterbt ist.

Pflichtteil: Erbe ist auskunftspflichtig

Damit der Pflichtteilsberechtigte seinen Anteil feststellen kann, muss ihm der Erbe Auskunft über den Nachlass erteilen. Er hat Anspruch darauf, bei der Aufnahme des zu erstellenden Vermögensverzeichnisses hinzugezogen zu werden oder im Streitfall das Vermögensverzeichnis durch das Amtsgericht oder einen Notar unter Hinzuziehung eines Sachverständigen erstellen zu lassen.

Autor:  Heinrich von Südhoff

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